FLASCHENGELD

BADISCHE LANDESBüHNE

von Lisa Sommerfeldt

Uraufführung – Premiere: 19. September 2015

Inszenierung   Jörg Bitterich

Ausstattung, Video Design   Silvio Motta

mit

Sandra Förster, Alexander Gaida, Tülin Pektas, Markus Wilharm

fürs Festival  “Schöne Aussicht” 2016 ausgewählt



Eigentlich sind Hanna, Michelle, Paul und Janis vier ganz normale Kinder, die auf dem Schulhof Ball spielen, übereinander lästern und sich ihre Pausenbrote teilen. Nur finanziell wird es manchmal etwas knapp. Um sich etwas Süßes leisten zu können, sammelt Michelle abends Pfandflaschen. Als Hanna im Handyladen beim Klauen erwischt wird, ist geklärt, wie sie an Geld kommt. Nach der Scheidung seiner Eltern muss auch Paul sich etwas einfallen lassen, um sein Taschengeld aufzubessern. Und bei Janis‘ Familie bleibt der Kühlschrank am Ende des Monats leer. Doch Geld ist nicht alles – oder?

In eindrücklichen Dialogen nimmt sich Lisa Sommerfeldt dem Thema Armut in Deutschland an. Flaschengeld wurde 2009 mit dem Berliner Kindertheaterpreis des GRIPS-Theaters ausgezeichnet und war in der Favoritenrunde des Kathrin-Türks-Preises 2012.

Kritiken

Die Deutsche Bühne

21.09.2015

Eingebunden in den Rhythmus der Jahreszeiten erzählt Lisa Sommerfeldt in vielen knappen Szenen vom Lebenswillen vier junger Menschen. Hanna ist neu an die Schule gekommen, sie fällt auf, weil sie teure Klamotten trägt. Molly hingegen ist dick und eher eine graue Maus, Janis hungrig, weil er keine Frühstücksbrote mitbekommt und Paul bekommt nur sein Brot, solange der Vater für ihn zahlt. Hinter jeder dieser Figuren steht eine Geschichte, bei Molly ist der Vater abgehauen und der Bruder ins Heim gekommen, weil die Mutter trinkt, Janis muss sich allein durchschlagen, weil seine Eltern keine Zeit haben. Paul schließlich muss damit klar kommen, dass der Vater ausgezogen ist und eine Neue hat. In „Flaschengeld“ hat die Autorin, die für dieses Stück 2009 mit dem Berliner Kindertheaterpreis ausgezeichnet wurde, in Berlin recherchiert. Aber die Autorin bleibt nicht in der Beschreibung eines Prekariat-Milieus haften, dafür taugt schon die knappe, poetisch rhythmisierte Sprache nicht, die naturalistische Anfechtungen weitgehend vermeidet. Aber mehr noch liegt es daran, dass Hanna anders als die anderen Figuren ihr Geheimnis ziemlich lange wahren kann. Das macht es spannend, ebenso, wie die Figuren nicht als Opfer vorgeführt werden, sondern auch in ihren Sehnsüchten und Lebensbehauptungen gezeigt werden. Jede der vier jungen Agierenden erarbeitet sich eine eigene Strategie, um sich gegenüber der Welt zu behaupten versucht, in der das Geld regiert und da wünscht sich Michelle am Ende „Das man das ändert.“

Der Uraufführungsinszenierung von Joerg Bitterich an der Badischen Landesbühne Bruchsal gelingt es, durch eine streng formale Inszenierung die Fallen, die das Stück durchaus enthält, zu entgehen. Silvio Motta hat dazu einen Spielraum geschaffen, der neben einer Mülltonne im wesentlichen aus einem variablen Gestell aus fünf Wänden besteht, drei mit transparentem Material bespannt, zwei nur als hölzerner Rahmen. Mit diesen Wänden lassen sich nicht nur unterschiedliche Spielräume bis hin zu einem geschlossenen Kasten herstellen, sondern sie dienen auch als Projektsfläche von Videos, in denen sich die Sehnsüchte und Erfahrungen der Vier spiegeln, von den Schönen der Welt bis hin zum Karussell. Dieses antinaturalistische Prinzip setzt Bitterich auch konsequent in der Spielweise um. Er lässt seine Darsteller auf der Bühne keine face-to-face-Interaktion machen, wenn sie dialogisch kommunizieren, sondern lässt sie nebeneinanderstehend frontal ins Publikum sprechen. Mit diesem Kunstgriff erreicht er, dass die Konzentration der jungen Zuschauer, deren Abstraktionsvermögen er vertraut, auf die Sprache und die Präsenz der Schauspieler gelenkt wird, die trotz aller formalen Strenge ihren Spielraum haben und nutzen.

Tülin Pektas als Michelle, am Anfang ein verhuschtes graues Wesen, entwickelt im Verlauf der Aufführung eine immer reichere Figur, die etwas aus sich macht. Sandra Förster führt die ganz auf Modell-Karriere getrimmte Hanna zunächst als arrogant-schnippisches Mädchen vor, das dann in der Begegnung mit anderen immer weichere Konturen erhält, zugänglicher wird, wobei, wie gesagt, ihr Geheimnis lange gewahrt wird. Warum sie aber stiehlt, bleibt dabei ausgeblendet, wie auch der Lebensplan, als das große Modell in die Geschichte einzugehen. Während sich bei den beiden Mädchen die Verhaltensweisen verändern, ist bei Janis keine Entwicklung zu beobachten, Markus Wilharm spielt ihn als den großen Schweiger, der wenig redet, aber handelt. Alexander Gaida als Paul muss die schwierige Situation spielen, zwischen den Parteien zu stehen und seine Position immer neu auszutarieren. Das macht er – wie die anderen Drei auch – überzeugend.

Da ist in Bruchsal eine spannende Uraufführungsinszenierung gelungen.

Manfred Jahnke

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Badische Neueste Nachrichten | Bruchsaler Rundschau | LANDKREIS | 21.09.2015
Geld ist nicht alles – oder?
Premiere von „Flaschengeld“ bei der Badischen Landesbühne

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Unterschiede zwischen Arm und Reich bekommen Janis (Markus Wilharm), Paul (Alexander Gaida), Michelle (Tülin Pektas) und Hanna (Sandra Förster; von links) in „Flaschengeld“ zu spüren.

Zeigen, was in Deutschland passiert

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Ein Salamibrot kann der Himmel sein. Zumindest für Janis (Markus Wilharm), bei dem der Kühlschrank am Monatsende leer bleibt, während Paul (Alexander Gaida) sein Pausenbrot lieber wegwirft, um anschließend Gummibärchen zu bekommen. Michelle (Tülin Pektas) sammelt Pfandflaschen, was Hanna (Sandra Förster) scheinbar nicht nötig hat: die Neue auf dem Schulhof trägt Markenklamotten und hat natürlich auch das neueste Handy.
Durch die Jahreszeiten hinweg werden die vier durch das Schuljahr begleitet, die einzelnen Szenen getrennt durch einen Schulgong, der – parallel zur Entwicklung der Lebenswelten – zunehmend mehr scheppert. Die jeweiligen Eltern kommen nur in den Dialogen vor – arbeitssuchend oder sich selbst verwirklichend oder die Traurigkeit mit Schnaps vertreibend – und bleiben dem Publikum von „Flaschengeld“ an der Badischen Landesbühne dadurch so fremd wie anscheinend den Kindern.
Das klingt jetzt nicht nach Komödienstoff, jedoch kommen bei aller Ernsthaftigkeit des Themas auch komische Momente durch. Die Schauspieler zeigen das Schul- und Familienleben mit Zweifeln, Freude, Ungewissheit, Hoffnung bis hin zum ungewöhnlichen Ende, welches das visuelle Bühnenkonzept auf die Spitze treibt. Die extrem wandelbaren Kulissen mit den halbtransparenten Stellwänden ließen sich schnell von Schulhof zum Treppenhaus verwandeln und boten Projektionsfläche für das poppige Videodesign von Silvio Motta.
Bereits 2009 wurde Flaschengeld mit dem zweiten Platz des Berliner Kindertheaterpreises ausgezeichnet. Nachdem das Stück jahrelang für ein anderes Theater optioniert war, konnte nun die Badische Landesbühne die Uraufführung im voll besetzten Hexagon zeigen. Auch die aus Bonn angereiste Autorin Lisa Sommerfeldt war von der Inszenierung von Joerg Bitterich begeistert. „Zeigen, was in Deutschland passiert, ohne auf die Tränendrüse zu drücken“, war das Ziel der gelernten Schauspielerin, die auf das Thema Kinderarmut durch Presseartikel aufmerksam geworden war. Wie sehr das gelang, zeigte der lange Applaus des Publikums.

Armin Herberger

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http://www.kindertheater.de/

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